“Abnorme Persönlichkeit” – Günter Wallraff in Graz

schneeengel

als günter wallraff die säle der arbeiterkammer steiermark betrat, wurde er fast gefeiert, wie ein popstar. wie auch der landtagspräsident kurt flecker bemerkte, als er in den voll gefüllten saal blickte: “schöne kulisse! habe ich das letzte mal bei einem rockkonzert erlebt!”

wallraff erschien leger mit einer lederjacke und erzählte von seinen anfängen und warum die bundeswehr eigentlich schuld an seiner ganzen aufdecker-karriere war. da er vergessen hatte, seine kriegsdienstverweigerung rechtzeitig abzugeben, wurde er widerwillig eingezogen und “versüßte” seinen kameraden unter anderem damit das leben, dass ihnen morgens feldblumen in die gewehrläufe steckte. er erlebte “bis in die generalität alte nazis, die das sagen hatten”, hörte überall ss-parolen und alte nazi-lieder. es wurde ständig versucht, seinen willen zu brechen und ihn mürbe zu machen. als sie dann aber darauf kamen, dass er die ganzen geschichten veröffentlichen wollte, wurden sie auf einmal ganz freundlich und baten ihm eine sofortige entlassung an, wenn er denn nichts veröffentlichen würde. als er den deal ablehnten, steckten sie ihn 6 wochen in die geschlossene abteilung im bwk koblenz. letztendlich wurde er “mit einem ehrenzeichen entlassen”, wie er selbst sagt. “abnorme persönlichkeit – für kriegs- und friedensdienst untauglich”, stand auf seiner entlassung.
damit fing also alles an. die karriere des investigativ-journalisten überhaupt begann also bei der bundeswehr. inzwischen freut er sich, dass es schon ein paar nachfolger gibt. unter anderem in ghana, brasilien oder china – in deutschland ist ihm allerdings keiner bekannt. vielleicht auch ein grund, warum künftig das “wallraff-stipendium” ausgelobt werden soll. es soll journalisten oder auch buchautoren ermöglichen, monate hinweg vom beruf freigestellt zu werden und sich in bestimmte bereiche herein begeben zu können. er braucht nachfolger, denn “irgendwann reichen die kräfte nicht mehr”.

aber noch ist nichts von altersmüdigkeit oder ruhestandsgedanken zu spüren. ganz im gegenteil. er will wieder von vorne anfangen, denn “die sozialen verhältnisse schreien danach”, gerade in deutschland. “das soziale system befindet sich zum teil im freien fall”, vor allem die leiharbeit hat vieles kaputt gemacht. einen verantwortlichen dafür nennt der journalist und buchautor auch: wolfgang clement, ehemaliger sozial-demokratischer ministerpräsident von nordrhein-westfalen und später auch wirtschafts- und arbeitsminister. “an clement krankt die ganze partei bis heute”, fügt er hinzu. überhaupt sei unsere politik zum teil nur handlanger von anderen interessensgruppen.

aber auch in österreich sei er schon auf “einige themen” gestoßen und glaubt, dass es auch hier ein reiches betätigungsfeld geben würde, “allein kärnten wäre eine lebensaufgabe an sich”.

wallraff las auch einige passagen aus seinem neuen buch, “aus der schönen neuen welt“, vor. er erzählte von seiner deutschlandreise als schwarzer, von den behördengängen, der zugfahrt mit rechten dynamo-fans oder der “einfachen” wohnungssuche – als dunkelhäutiger kaum machbar. “schwarz auf weiss” heißt der film dazu, der mitte februar endlich auch in die österreichischen kinos kommt. seit heute weiß ich, dass daran eigentlich keiner vorbei kommt.

es war ein super spannender abend mit interessanten anekdoten – und der wallraff kann auch einfach gut erzählen! ich hätte ihm noch stunden zuhören können, obwohl nach 2 1/2 stunden die holsstühle im saal echt sehr unbequem wurden. sollte er auch mal in eure stadt kommen, geht hin und hört ihm zu. es lohnt sich für jeden – definitiv!

5 Comments

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  • Markus Hasenberger

    also ich war von wallraff positiv überrascht. nur was ich nicht wusste, dass wolf schneider ein rassist ist!? homophob meine ich bereits gewusst zu haben, aber das war neu.

    bin auf den film gespannt.

  • siehst du, diesen punkt hab ich völlig vergessen zu erwähnen… ja, dass der schneider ein alter rassit ist, war mir auch neu…

  • Der Günther, der war auch in Salzburg. Die Lesung dürfte ähnlich verlaufen sein, nur der Einstieg vielleicht ein wenig anders. Ich war auch schwer berührt und inspiriert von seinem Tatendrang und dem Bekenntnis “Stimme der Minderheiten” sein zu wollen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Hartz IV Debatte in Deutschland wohl umso aktueller. Aber auch in Salzburg würden einem Afrikaner wohl ähnliche Ressentiments entgegen schleudern, wie in Wallraffs Berichten. Neulich erzählte mir eine Freundin, die Deutschkurse für Migranten, welche vom AMS geschickt werden, gibt, sie hätte ihre Teilnehmerinnen gefragt warum sie in Salzburg leben. Ergebnisberichtend brach der gesamte Kurs aufgrund der Schicksalsberichte in Tränen aus. Hoffentlich gehen viele zu seiner Stiftung, ich glaube, wir brauchen die Wallraffs.

  • […] 22. Jänner, gegen 20 Uhr, Grazer Kammersäle. Anzüge und Krawatten sitzen in der reservierten ersten Reihe, Perlenketten und Seidenschals. Auf dem Podium sieht es jedoch entspannter, bodenständiger aus: Lederjacke, graues, legeres Shirt und Jeans. Die Stimme von niemandem geringeren als Günter Wallraff klingt klar und bestimmt durch den Raum. „Er sieht aus wie Peter Lustig“, sagt jemand in der dritten Reihe. Gar nicht so abwegig, dieser Vergleich: Die freundlichen, aufgeweckten Augen, die vielen Fältchen, die Kopfinsel, die aus dem seichten Haarmeer hervorragt. Nur die Kleidung will nicht so ganz in das Schema des freundlichen, gemütlichen, alten Mannes passen. Doch in gewisser Weise ist Wallraff tatsächlich für Erwachsene ein wenig das, was Peter Lustig für die Kleinen ist: Aufklärer und Wahrheitsfinder. […]

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